POET NR. 05 INHALT COVER ORDERN ET CETERA

  Sylvia Geist

Nach Canetti

Abende lang gingen die Wasserbüffel auf Nashörner
zurück, Vögel auf Echsen, Pelztiere auf Haarlose und immer
so weiter – ab in die Unglaublichkeit der Knochensprache
führte eine Produktion der BBC, raffte die Verwandlung
der Welt ins Bild. Jedes schien sich eingetauscht zu haben,
indem es sich flügelte oder eingrub, zottig wurde,
Klauen bekam, Hände, ein Karneval der Interpretationen

von etwas, das erst erfunden werden sollte, des Erforderlichen.
Mir kam das Ganze wie eine Werbesendung vor, oder
ein Trainingsprogramm, trostlos beides. So vieles geschah,
geschieht aus Not, was hilft es zu wissen, dass man einmal
anders war, ohne eine Erklärung, die Raum lässt für
unsere besseren Innovationen, abgeschaut auch sie, doch
gewandelt in geheimeren Zellen, auf der kleinen Flamme

Zunge erwärmt wie ein Stückchen Eis. Nichts spricht
dagegen, dass Wandlung die Antwort der Machtlosen ist,
angesichts solcher Verwandtschaften, die Zuflucht,
ohne die nichts mehr übrig wäre, keine Form, die Wasser noch
annehmen, keine, die es noch höhlen könnte für irgendetwas
sonst, und der Stachel der Biene, der Zahn des Hundes
ihre erzwungene, dunkle Vergebung.


Manara

Drei Tage im Voraus seien die Schiffe zu sehen
gewesen – „at an ancient speed“ – und alles lacht,
mit der Nachsicht der Langsamen von morgen.

Durch die Scharten strömt Mittagsluft, weißes
Pech, wer wünscht sich da nicht eine Stunde zurück,
in die Katakomben, zum gemalten Jenseits

unter Alexandria, wo die Seelen Vögel
kurz vorm Abflug bleiben, solange die Farbe hält.
Stufen, Stufen, das Fresko der Kletternden

aufatmend, die reine Wand des Himmels,
dem plötzlich ein Sperling entkommt.
Abgefeuert von der Feder eines Zufalls,

der ihm die Flügel an den Körper heftet,
als er eine der handschmalen Luken passiert,
so stürzt er in den Turm, und unsicher,

was tröstlicher wäre, irgendein Mut oder
die Einsicht, dass er nicht weiß, wo er ist und was
er hier tut, bewege ich mich, beweg ich mich nicht.

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Sylvia Geist, geboren 1961 in Detmold. Germa­nistik­studium und Pro­mo­tion in Hannover; lite­rarische Veröffent­li­chungen und Mono­grafien zu Uwe Johnson und Ingeborg Bachmann. Würth-Literatur­preis. Lebt und schreibt seit 1987 in Italien. Zuletzt: Der Pfau (Luftschacht 2008).
 
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