POET NR. 03 INHALT COVER ORDERN ET CETERA

  Katrin Marie MErten

Was braucht ein Text, um gut zu sein?
Fragen an junge Verleger

Was braucht der Text, um ein guter Text zu sein? Oder vom Theore­ti­schen in die Praxis gewendet: Was braucht der Text, damit er gedruckt wird? Ein Streifzug um die Leseinsel Junge Verlage auf der Leipziger Buchmesse. Elf Verleger im Gespräch mit Katrin Marie Merten.


Jürgen Christian Krill
Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München

Ein guter Text ist die ominöse eierlegende Wollmilchsau. Ich finde, er braucht zwei Sachen: Zum einen muss er den Leser packen, und das macht er am Besten mit einer Story, in der sich der Leser angesprochen fühlt. Banal gesagt ist das die Story, die jeder kennt. Diese muss, zum Zweiten, erzählt werden in einer Sprache, die es so noch nicht gegeben hat – man könnte sagen, sie muss einen eigenen Sound haben. Der Text muss den Leser also packen und befremden zugleich. Als Verleger ist mir zudem wichtig, dass der Text zwar abseits vom Mainstream stattfindet, aber nicht zu experimentell ist. Am Ende ist ein gutes Buch nur ein verkauftes Buch: Literatur findet nicht in Bücherregalen statt, sondern ist ein Prozess, zu dem auch der Leser gehört.


Werner Labisch
Verbrecher Verlag, Berlin

Ein guter Text muss den Leser mitnehmen und er muss ihn ernst neh­men. Das kann er auf ernste oder lustige Art machen. Gisela Elsners Sprache zum Beispiel ist so sperrig, dass sie vor den Kopf stößt, dass der Leser kämpfen muss. Wenn man merkt, warum die Au­­to­rin das tut, wird es interessant, dann hat der Text etwas mit einem selbst zu tun. Gute Texte können aber auch, wie bei Kolja Mensing, mit weniger Widerstand arbeiten: kurze Geschichten, die aber im Ganzen gesehen, keine leichte Lektüre sind. Der Autor muss etwas zu sagen haben, nicht nur, wie Eva Hermann, die Seiten füllen.


Stefan Buchberger
Luftschacht Verlag, Berlin und Wien

Was mich als Verleger fesselt, ist eine Mischung aus subjektivem Gefallen und einem gewissen Sendebewusstsein mit Kalkül. Der Au­tor muss nicht sprachlich auf seinem stilistischen Zenit angekommen sein. Ein Text kann auch etwas maroder herkommen und trotzdem überzeugen, zum Beispiel durch seinen Zugang zum Thema. Wir haben gerade in den ersten zwei Jahren ausschließlich Debüts verlegt, was für junge Verlage kaum anders geht. Dabei ging es mir darum, dass die Autoren vermittelt haben, stilistisch an sich arbeiten zu wollen.


Peter Hinke
Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig

Erstes Kriterium: Ein richtig guter Text lässt eine eigene Stimme er­kennen. Es gibt viele Texte, die gut sind, aber nicht das Kriterium der Unverwechselbarkeit erfüllen. Wenn ich in ein Manuskript schaue, entscheidet sich schnell, ob ich weiterlese, und zwar auf der ersten Seite, oft schon nach wenigen Zeilen. Es kommen ja unheimlich viele Texte auf meinen Tisch, da muss es schnell gehen. Da muss es berühren und das Herz treffen, auch wenn das pathetisch klingt. Drittens muss ein Text ins Verlagsprofil passen, so pragmatisch das ist.


Daniel Beskos
Mairisch Verlag, Berlin und Hamburg

Ein guter Text ist zwingend. Er greift einen, so dass man denkt: jajaja, genau so ist es. Obwohl jeder von uns drei Verlegern Literatur­wissenschaft studiert hat, ist es eine Bauchentscheidung, welchen Text wir drucken. Dazu kommt, dass wir gerne lange mit unseren Autoren zusammenarbeiten, also länger als für ein Buch. Wir machen nur wenige Titel im Jahr, zwei oder drei, die betreuen wir aber ganz, von Konzept bishin zu Pressearbeit und Lesungs­organi­sation. Da muss es menschlich stimmen und Spaß machen. Das ist eine persönliche Komponente, die ganz unabhängig von den Texten besteht.


Helge Pfannenschmidt
Edition Azur im Glaux Verlag, Dresden

Was mich begeistern kann, ist eine lebendige, sinnliche Schreib­weise. Ich will das Blaue vom Himmel, Eigenständigkeit in Texten. Ich verlege Autoren, die ein Wagnis eingehen, deren Ziel es ist, die ganze Welt in ein Gedicht zu holen. Im Fokus stehen eher die kleinen Formen, also Gedichte, Prosaminiaturen und Aphorismen. Die bisherigen Bände zeigen, dass das in ganz verschiedene Richtungen gehen kann. Da gibt es keine Patentrezepte.


Daniela Seel
kookbooks, Berlin und Idstein

Für mich muss ein guter Text eine Frage stellen, also auch interessiert sein daran, etwas neues rauszukriegen, daran, wie Wahr­neh­mung in Sprache überführt werden kann. Ein guter Text darf für mich nicht zu schlau sein in dem Sinne, als dass er am Anfang schon zu wissen glaubt, worauf es am Ende hinausläuft. Der Autor erfährt im Weg des Schreibens und vermittelt den Text als Lernprozess. Ich mag es auch als Leser gerne, etwas nicht gleich zu verstehen und mir in der Lektüre erst das Unverständliche, was mir der Text zumutet, erarbeiten zu müssen, neue Weltzugänge, neue Deutungen und Be­deutungen zu finden. Ich will, dass mich ein Text verändert, dass er auch den Verlag verändert, dass die Dinge in Bewegung bleiben. Verkaufbarkeit ist dabei kein Kriterium. Wenn ein Text mich als Leser überzeugt, dann kann ich vermitteln, was er an mir bewirkt hat und dass es ein guter Text ist.


Frank Niederländer
Tisch 7, Köln

Was ein Text können muss, kommt darauf an, was der Autor mit ihm erreichen will. Mit einem Text den Buchhandel zu überzeugen, verlangt nach anderen Stärken, als einen Wettbewerb oder Literatur­preis zu gewinnen. Es muss viel an einem Text sein, dass wir sagen: Mit dem setzen wir uns jetzt auseinander und denken über eine Veröffentlichung nach. Auf unserem kleinen Spielfeld wollen wir ein breites Spektrum präsentieren. Das bedeutet, dass die Kriterien sehr verschieden sind, abhängen von Autor, von Stoff – es muss wirklich passen und eine bestimmte Qualität haben, damit wir sagen: Das findet sich gut in unser Programm ein.


Lars Birken-Bertsch
Blumenbar Verlag, München

Da sind mehrere Seiten: der Text, der Autor, das Thema – diese Mischung bedingt und verdichtet sich gegenseitig. Von Verleger­seite muss man genau unterscheiden: Nicht jeder Text ist als Buch machbar. Das Gefühl muss plötzlich da sein: Das könnte funktionieren, das könnte den Leser interessieren, das ist machbar. Am Ende ist es immer eine Frage des Geschmacks, da entscheidet der Bauch- Gefühl ist nicht kalkuliert.


Leif Greinus
Voland & Quist, Dresden

Wir kommen ja aus der Veranstalterecke, machen Bücher mit CDs, daher müssen die Texte sowohl auf dem Papier, als auch auf der Bühne funktionieren. Autoren, die wir aussuchen, kommen aus der Lesebühnenszene, die besonders in Berlin, groß und sehr zersplittert ist. Es gibt kein pauschales Kriterium, welches man immer anwenden kann. Spider und Gomringer sind ja völlig verschiedene An­sätze. Als Verleger muss man dieses Gespür haben: Ist das was oder ist es nicht? Man kann nicht genau begründen, woher das Gefühl im Bauch kommt.


Patrick J. Hutsch
Edit, Papier für neue Texte, Leipzig

Der Text muss überzeugen und zwar den, der ihn liest und der entscheidet, ob er gedruckt wird. Das ist ein großes Problem für viele Texte, denn sowas ist nicht planbar. Dessen ungeachtet muss der Text eine eigene Stimme haben, der muss Autor wissen, was er erzählen will und warum. Er sollte sich im Klaren darüber sein, wie weit er damit geht und mit welchen handwerklichen Mitteln er sein Ziel erreicht. Edit will Texte, die etwas besonderes sind, die etwas wagen, die begeistern können, die mehr versuchen, als was wir schon kennen.


Die Interviews führte Katrin Marie Merten für poet nr. 3.

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Katrin Marie Merten , geboren 1982 in Jena, aufge­wachsen in Bad Berka und Erfurt, lebte und studierte sieben Jahre in Leipzig, darunter eine Weile am Deutschen Literatur­institut. Im Herbst 2009 erschien ihr Lyrikdebüt Salinenland (Lyrikedition 2000).
 
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