POET NR. 01 INHALT COVER ORDERN ET CETERA

  Adolf Endler

Ein Koffer des Unflats / Fragment

... um diesen graublauen Koffer hatte selbst Bubi Blazezak bei der Vor­führung seiner Samm­lungen stets einen großen Bogen geschlagen; aber eines trüben November­tags wurde er aufgrund meiner immer dring­licheren Blicke natür­lich doch ausgepackt: Dutzende ver­rücktes­ter Garten­zwerge und unge­wöhn­lichster Godmichés, durch­einander­gewirbelt, wie zu gemein­samer Höllen­fahrt vereint – abwärts, abwärts! Abwärts...? – „Und montags Wiebke Mewissen", nickte Bubi Blazezak erklärend; und er nickte es so betont und be­deutungs­schwanger, als trüge er den wenig Gutes ver­sprechenden Titel eines kleinen neu-sachlichen Roman- oder Film­werks vor: „UND MONTAGS WIEBKE MEWISSEN!" Der Ver­fasser mußte, nachdem er über den Fall zureichend unterrichtet war, hoffnungs­los und stirn­runzelnd Bubi Blazezak beistimmen: Und montags Wiebke Mewissen... Doris Hampel wohl kaum! Übrigens eine in ethischer und moralischer Hinsicht vielleicht doch um einige Grade anspruchs­vol­lere Aufgabe, als es den Leser zunächst bedünken mag. Bubi Blazezak: „Ein unerläßlicher Freund­schafts­dienst für den vor einigen Jahren tiefgreifend verunglückten Arthur Mewissen, Du hast den Namen sicher schon ‘mal gehört: Arthur ist ja monatelang Gesprächs­stoff gewesen im Kiez!, Arthur der Mann, der beim Straßen­bahn­leitungs­reparieren von der Auszieh-Leiter gesegelt ist, Arthur, der Unglücksrabe, von einer unvor­schrifts­gemäß verbogenen Sprosse um sein... naja, seines 'Aller­männ­lichsten' beraubt; die Linie Siebzig übrigens, wo das passiert ist, kurz vor der Danziger! Ich will nicht prahlen, Ede, aber ich bin schon seit acht­und­vierzig / neun­undvierzig sein engstes Freund­schafts­verhältnis..." – Und so ist es schicksals­bedingt und unausbleiblich, daß Bubi Blazezak eines heiteren Abends unter faden­scheinigem Vorwand – „Willst du nicht 'mal unser neues Tapeten­muster bewundern?" – vom dienernden Arthur ins giftig girrende Schlafkabuff der Mewissens geschoben wird, wo die liebes­hungrige Wiebke – Feminis­tinnen, bitte, weggucken, weggucken, weggucken! – mit gleicher­maßen schadenfroh (?) wie schamlos entblößtem und vesuvartig bebenden (in Schaltjahren feurig-speienden) Venusberg schon seit Monden einer empfind­lichen Ver­letzung ihrer Intim­sphäre harrt; da von einem Mo­ment zum andern der als führender Nymphologe bekannte CASA NOVA VON MITTE vor ihrem Luder-Lager erscheint, sind es ät­zende Rauch­wölkchen, schräge Ratten­pfiffe sogar, welche Schwall um Schwall den schrundigen Klüften der Venusberg-Landschaften Wiebkes entweichen; umgekehrt fallen von der Zimmer­decke mehrere tote Fliegen herab... Kann man sich ernstlich einen Menschen denken, der in dieser prekären Situation anders gehandelt hätte als Bubi Blazezak? Eigentlich braucht es garnicht gesagt zu werden, sei aber der Voll­ständigkeit halber trotzdem gesagt, daß Bubi – „um diese an und für sich harmonische Ehe zu retten" – keine Sekunde gezögert hat, für seinen von jäher und gänzlich unver­schuldeter Impotenz geschla­genen Kameraden und Kegel-Bruder hilfsbereit einzuspringen. (Sicher kam unserem Helden bei seiner Entscheidung die katholische Grund­ausbildung in puncto „Nächstenliebe" zustatten, wie sie in Preußen der größere Teil der Bevölkerung leider missen muß; nach Bubi Blazezaks Darstellung scheint es sich fast aus­schließlich um „Akte der Nächsten­liebe" gehandelt zu haben, die ihm in Münster den Ruf eines Don Juan, in Berlin den eines Casanova eingebracht haben.) – „Aber allzu viel ist ungesund", um eine der rätselhaften Lebens­maximen Bubi Blazezaks mitzuteilen, und nach einer Weile muß Bubi Blazezak erschüttert feststellen, daß der Wiebke-Montag für ihn zu einer puren Routine-Angelegenheit geworden ist, seiner Lebenslust eher abträglich; für Arthur Mewissen hatten die Stunden am Montag indessen im Laufe der Jahre an Bedeutung nur noch gewonnen – unver­zichtbares Lebens­elixier, dem allsonntäglichen Gang zur Heiligen Messe und der regel­mäßigen Kommunion vergleichbare Seelen-Speisung. Montags hätte Arthur spätestens um halb neun (zwanzig­uhrdreißig) Bubi Blazezak „die Bude eingerannt", um ihm mit alsbaldiger Scheidung zu drohen (seiner, Arthurs, Scheidung von Wiebke), falls der Casanova von Mitte die kräftigen Fleisch­bouillons hätte kalt werden lassen, die am Montag pünktlich um Neunzehn­uhr­dreißig auf dem Nierentisch des Mewissenschen „Empfangssalons" stehen, in der Regel zusammen mit diversen recht undurch­sichtigen „Salaten", „von denen etwas Hypno­tisierendes ausgeht" (wie Bubi Blazezak dem Verfasser erklärte). Nein, ein Flucht vor den Montag-Abenden muß ebenso außer Betracht bleiben wie die vor Bubis Mittwochs-Verpflichtungen: Kein Montag ohne den immer wieder herz­zerrei­ßenden Moment, da Bubi und Wiebke mit näselnden Nick-Lauten und lange mit ihren unterschiedlichen Taschen­tüchlein winkend Abschied nehmen vom guten alten Arthur, der tränen­überströmt am Kai zurückbleiben muß, um sich sodann, wie man weiß, der tröstenden Lektüre volks­kundlicher Periodica zuzuwenden, später seiner Heimbastler-Bank, wo er in der ersten Zeit der leiden­schaftlichen Entwicklung immer neuer, der jeweiligen Weltlage angepaßter Gartenzwerg-Varianten frönt, später ebenso einfallsreich der wildesten Godmiché-Tiftelei, der grüblerischen Kon­struk­tion wahrhaft extra-ordinairer Künstlicher Penisse – das Wörtel „Godmiché" sucht man in meinem Fremd­wörter­buch vergeblich –, d.h. der Hersteller solcher „Papp­kameraden" – der Kenner meiner Prosa hat es geahnt – in Gartenzwerg-Form: Penisse mit Zipfel­mütze, mit kleiner Schubkarre in der qualligen Patschhand, Penisse mit dem breiten und debilen Garten-Zwerg-Grinsen auf den Lippen, „Sputniks", aus deren Fensterchen ein Garten­zwerg ins Weltall hinausäugelt..., alle diese Dinger wurden von Arthur liebevoll-gehässig „Bubi" genannt: „Meine Bubis, wie gefallen sie dir?" – „Funny enough, isn't it?" (Bubi Blazezak in der Gaststätte LÖFFELERBSE zum ungläubig blickenden Verfasser, um hinzuzufügen:) „Du magst mich für bebête halten; aber ich habe mich wirklich dank der sazerdotalen Aus­strahlung Arthurs darauf eingelassen, die Apparate für ihren Erbauer zu testen, gemeinsam mit Wiebke ...mh, mit Doris Hampel gewiß nicht!" – Der Verfasser wird sich nach dieser für alle Betei­ligten befrie­digenden und zudem lukrativen Wendung kurz fassen dürfen: Arthur Mewissen wird im Lauf der Jahre dicker und dicker, Bubi Blazezak dünner und dünner, Wiebke Mewissen „hält die Figur" und bleibt vollschlank – alle drei aber werden steinreich; und ein bißchen des ganzen Segens fällt auch für Bubis anderweitigen Bekanntenkreis ab, für Doris Hampel z.B. die antiquarisch erworbene in den fünfziger Jahren erschienene „Ästhetik" von Bogumil Rainoff, die heute vollkommen vergessen zu sein scheint. Bubi Blazezak (und hier dürfte wohl der Grund für seine Abneigung gegen den Koffer mit den „Überbleibseln" dieser Affäre zu suchen sein): „Ich könnte heute 'n Millionär sein, wenn die Mewissens nicht plötzlich verblendet in 'n Mittleren Westen (Kentucky) abgehauen wären – in der Hoffnung, dort BEATE UHSE Konkurrenz machen zu können! Diese Idioten! Jetzt haben sie in Opladen oder Leverkusen etwas, was sich 'Grünkohl-Center' oder 'sauerkraut-studio' nennt... Na, jeder macht sich selber so unglücklich, wie er kann!" –//– Vorgetragen wurde dieses notizen­hafte Fragment, da man den graublauen Koffer störend auf- und zuschnappen ließ, während der 87. Sitzung der KOSABLA*, die abschließend auch dem literarischen Werk Günter Kunerts seine Reverenz erwies; außer Gartenzwergen und Godmichés enthielt der Koffer nämlich eine nicht kleine Kollektion der Kunertschen Bücher, alle mit arg zweideutigem Titel versehen: „Kramen in Fächern" (!!!), „Offener Ausgang"(!!!), „Der andere Planet" (!!!!!), „Tagwerke" (!!!), „Unschuld der Natur" – weshalb denn das? –, „Ortsangaben" (!!!), undso­weiter­undsofort bis tief ins Unsägliche hinein...

* KOSABLA; Kommission zum Erhalt und zur Pflege der „Samm­lungen Blazezak".

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Adolf Endler, geboren 1930 in Düsseldorf, siedelte 1955 in die DDR über, war in mehreren Berufen tätig. Zahlreiche Preise. Bücher u.a. Tarzan am Prenz­lauer Berg (Reclam 1996), Der Pudding der Apokalypse (Suhrkamp 1999), Schwei­gen, Schreiben, Reden, Schweigen (Suhrkamp 2003), Nebbich (Wallstein 2005). Adolf Endler starb 2009 in Berlin.
 
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